Maels Leben begann sehr kämpferisch. Er wurde am 18. April 2008 nach einer sehr langen und schwierigen Geburt geboren. Schon während der Geburt hatten wir zweimal das schreckliche Gefühl, unseren Mael zu verlieren, da seine Herztöne stark absanken und alles sehr hektisch wurde. Er hat dann aber die Geburt gut überstanden. Als Zeichen seiner schwierigen Geburt blieb eine Narbe auf seiner kleinen Nase zurück, weil er so lange "angestanden" ist. Noch vor der Diagnose machten wir uns Sorgen, ob ihn diese Narbe wohl einmal stören wird. Wie unwichtig dies nun ist… .
Mael entwickelte sich prächtig. In seiner Entwicklung gab es keine Auffälligkeiten. Im Gegenteil. Er entwickelte sich sehr schnell und gut und wir erlebten wunderschöne Monate mit unserem Mael. Im Alter von sechs Monaten haben wir festgestellt, dass der Bauch unseres kleinen Jungen auf der rechten Seite sehr hart war. In einem Routinecheck beim Kinderarzt haben wir das so nebenbei erwähnt und der Kinderarzt meinte, er könne die Milz tasten. Ein Ultraschall im Spital bestätigte, dass die Milz viel zu gross war. Es folgten Blutentnahmen und ein erster Verdacht wurde geschöpft. Man vermutete, dass die Milz durch den Virus Zytomegalie so gross ist, da Antikörper in seinem Blut gefunden wurden. Es folgten weitere Ultraschall-Untersuchungen und Blutentnahmen. Die Milz hatte aber inzwischen die Grösse eines Erwachsenen und die Blutwerte wurden etwas auffällig. Der Virus konnte es doch nicht sein und so ordnete im November 2009 ein Arzt im Kinderspital Luzern eine Knochenmarkpunktion an. Zu diesem Zeitpunkt konnte Mael bereits seit mehreren Monaten laufen und er sprach bereits einige Wörter. Auch wenn wir inzwischen ein unruhiges Gefühl hatten, konnten wir damals nicht ahnen, dass Mael eine so schwere, unheilbare und tödliche Krankheit hat. Er erschien doch so gesund - so wunderbar und perfekt!
Die Verdachtsdiagnose Niemann Pick C - unheilbar und tödlich
Eine Woche nach der Knochenmarkpunktion hatten wir einen Termin im Kinderspital Luzern. Wir wussten eigentlich gar nicht, ob es schon Resultate gab oder nicht und gingen etwas naiv zusammen mit Mael an das Gespräch. Dann eröffnete uns der Arzt, dass unser Sohn mit grosser Wahrscheinlichkeit an der Speicherkrankheit Niemann Pick Typ C leidet. In seinem Knochenmark wurden die für NPC typischen Schaumzellen gefunden. Das Gespräch haben wir wie in einem Schockzustand erlebt. Der Arzt teilte uns zwar schon damals mit, dass die Krankheit unheilbar ist und dass die meisten Kinder zwischen dem 10ten und 20ten Lebensjahr aufgrund des neurologischen Zerfalls sterben. Doch diese Tatsache haben wir zu diesem Zeitpunkt gar nicht richtig wahrgenommen. Weinend verliessen wir das Zimmer, in dem innert Sekunden unsere ganze Welt zusammenbrach. Der Arzt gab uns noch den Tipp, nicht zu viel im Internet zu suchen und die Sache langsam anzugehen. Doch wir wollten mehr über diese Krankheit erfahren. Und dann, als wir mehr und mehr lasen, brach unsere Welt endgültig zusammen. Erst zu Hause realisierten wir, dass wir Mael und vielleicht auch unseren damals ungeboren Lian an diese Krankheit verlieren werden. Denn ich war zu diesem Zeitpunkt im sechsten Monat schwanger mit Lian. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch er an dieser Krankheit leidet, bestand bei 25%.
Die Zeit des Bangens und der Hoffnung
Die nächsten Tage waren wir am Boden zerstört und wir hatten rund um die Uhr Hilfe. Die Situation war speziell für mich als Mutter enorm schwierig, da ich mit Lian schwanger war und ich teils vor Schmerz und Angst kaum atmen konnte. Auch Mael hatte in der Zwischenzeit realisiert, dass etwas passiert war und reagierte mit ganz massiven Schlafproblemen. Wir verloren alle den Boden unter den Füssen und konnten uns kaum aufrichten. Doch Mael und auch unser damals ungeborenes Kind - beide brauchten uns und so haben wir uns irgendwie wieder aufgerafft, um für die beiden Buben da zu sein.
Einige Tage später nach der ersten Verdachtsdiagnose gingen wir ins Kinderspital Zürich zu Dr. Marianne Rohrbach. Sie betreut praktisch alle Niemann Pick C-Patienten in der Schweiz. Mael wurde eine Hautprobe und Blut genommen. Die Ärztin informierte uns über die verschiedenen Typen und machte uns auch etwas Hoffnung, dass Mael an dem milderen Typ B leiden könnte. Es folgten Monate des Wartens und Bangens. Doch nie hätten wir zu diesem Zeitpunkt gedacht, dass sich die abschliessende und so schmerzhafte Diagnose fünf Monate hinziehen wird!
Die schwierige Suche nach den Mutationen
Mael wurde genetisch in einem Labor in Deutschland auf Typ B und C getestet. Doch es wurde lange keine Mutationen gefunden. Und dann, wenige Wochen vor Lians Geburt, kam die vermeintlich gute Nachricht, dass man bei Mael eine Mutation vom Typ B gefunden hat! Für uns war es eine Erleichterung und wir schöpften Hoffnung, dass es doch nicht Typ C sein kann. Denn nun gingen wir davon aus, dass es Typ B war und es nur noch eine Frage der Zeit war, bis auch die zweite Mutation gefunden wird. Doch die Suche nach der zweiten Mutation gestaltete sich schwierig. Zudem passte es nicht, dass man bei Mael eine Enzymtätigkeit messen konnte, die beim Typ B eigentlich fehlen würde. Zwischenzeitlich hatten wir sogar die Hoffnung, dass er eine milde Form vom Typ B mit einer Restfunktion des Enzyms hat. Mit der Hoffnung auf den Typ B haben wir uns langsam wieder etwas erholt und wir hofften so fest, dass er nicht an Typ C leiden kann. Schliesslich war es doch unvorstellbar, dass er sowohl Mutationen vom Typ B und Typ C haben könnte! Doch irgendwie konnte es Typ B einfach nicht sein und so hat ein Spezialist die Schaumzellen von Mael nochmals genau studiert und vorgeschlagen, das Gen, auf dem die Mutation von Typ C liegen, nochmals zu durchsuchen.
Die definitive und so schmerzhafte Diagnose - die Hoffnung war weg
Und plötzlich ging alles ganz schnell. Tise hat am 30. April 2010 mit unserer Ärztin in Zürich telefoniert. Er spürte, dass etwas nicht stimmt und so hat sie ihm am Telefon mitgeteilt, dass nun doch zwei Mutationen vom Typ C gefunden wurden und er somit definitiv am schlimmeren Typ C leidet. Zu diesem Zeitpunkt feierte Mael mit seinen Freunden seinen zweiten Geburtstag im Garten. Ich wusste noch nichts von der verheerenden Nachricht und versuchte, das Fest so schön wie möglich für ihn zu gestalten. Als ob es der Himmel und die Engel bereits wussten, kam ein Gewitter und wir mussten das Fest abbrechen. Tise kam nach Hause – ruhig und in sich gekehrt. Doch er sagte noch nichts und so brachten wir die Kinder ins Bett. Als ich aus dem Zimmer von Mael kam, sah ich ihn an, seine Augen füllten sich mit Tränen und er sagte, dass er mir etwas sagen muss. Ich wusste es sofort und begann bitterlich zu weinen. Alles in mir brach zusammen und ich erlitt einen Nervenzusammenbruch. Wir hatten nun die traurige und so schmerzhafte Gewissheit, dass wir Mael auf so schlimme Art und Weise schleichend verlieren werden und wir hilflos zusehen müssen, wie er in Zukunft all seine Fähigkeiten verlieren wird. Was an diesem Abend mit mir und in mir passiert ist, ist so unbeschreiblich, dass es dafür keine Worte gibt... .
Das Warten auf das Resultat von Lian
Die abschliessende Diagnose von Mael war so schmerzhaft und nun kam noch hinzu, dass wir umso mehr um Lian bangten. Denn zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, ob Lian auch betroffen ist oder nicht. Denn erst jetzt, wo klar war, nach welchen Mutationen wo gesucht werden muss, konnte auch Lians Blut getestet werden. Und so begann das zerreissende Warten auf das Testresultat von Lian, das über Tod und Leben entscheiden wird. Wir wussten, dass es ungefähr eine Woche ging und hofften einfach unendlich fest, dass Lian Glück hat und wir ihn nicht an dieser Krankheit verlieren werden. Ich konnte während dieser Wochen kaum denken, essen und schlafen. Ein Alltag war unmöglich und ohne die Hilfe von unseren Eltern, Freunden und hilfsbereiten Nachbarn hätten wir diese Zeit kaum ertragen.
Lian war zu diesem Zeitpunkt bereits drei Monate alt und er erschien uns genau so perfekt und wunderbar wie es Mael war. Wir konnten einfach nicht darauf vertrauen, dass er so gesund und munter ist wie er wirkte und so blieb uns nur das Hoffen und das Bangen, dass es bei ihm gut kommt. Eine Woche nach Maels Diagnose war das Resultat von Lian da. Tise, meine Schwiegermutter und ich gingen in den Wald, um dort das Resultat von Lian am Telefon zu erfahren. Meine Schwiegermutter wollte uns nicht alleine in den Wald lassen, da sie Angst hatte, dass ich einen erneuten Schicksalsschlag nicht verkraften könnte. Ich packte Glücksbringer und Kerzen ein und so sassen wir am Boden im Wald auf einer Decke. Tise wählte die Nummer unserer Ärztin, und wir wussten, dass wir in den nächsten Sekunden erfahren werden, ob wir auch Lian verlieren werden oder nicht. Diese Anspannung zerriss mich fast und ich klammerte mich an meinen Mann. Die Ärztin nahm ab und schon an ihrer Tonlage merkten wir, dass sie wunderbare Nachrichten für uns hatte. Es war eine unendliche Erleichterung! Ich schrie in den Wald, dass Lian gesund sei und weinte vor Erleichterung. Der 7. Mai 2010 war im Nachhinein wie die Geburt von Lian und wir werden diesen Moment im Wald nie mehr vergessen. Denn erst dann konnten wir Lian in den Händen halten, ohne diese grausame Angst, auch ihn zu verlieren. Erst dann konnten wir ihn ansehen und wussten, dass er gesund ist.
Und so kehrten wir nach Hause zurück – unendlich erleichtert und glücklich über die wundervolle Nachricht von Lian und immer noch unendlich traurig und untröstlich, dass Mael dieses Glück nicht gehabt hatte.
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